„Ich mache mir die Welt sichtbar“ Silja Korn hat auf den ersten Blick ein gewöhnliches Hobby: Sie fotografiert, stellt ihre Werke aus und gibt Workshops. Doch die Berlinerin ist blind. Wie es ist, allein mit der Kraft der Vorstellung zu sehen. Ein Interview von Yannika Hecht. Frau Korn, was ist auf Ihrem letzten Foto zu sehen? Natur. Ich wollte Natur auf der Straße fotografieren – Bäume. Und einen Hund, der unter einer Bank lag, habe ich auch noch erwischt. Woher wissen Sie, was auf den Bildern zu sehen ist? Das weiß ich erst später, wenn mein Mann draufschaut. Aber ich habe vorher schon Ideen. Dann denke ich zum Beispiel: Die Atmosphäre hört sich so super an, und es riecht hier einfach so gut. Was ich wahrnehme, gefällt mir, und das will ich gerne festhalten. Und dann zücke ich meinen Fotoapparat und drücke ab. Manchmal gelingt es mir gut, manchmal aber auch nicht. Wie kann ich mir das vorstellen, dass Sie mit Ihrem Mann draufschauen?Mein Mann schaut sich die Bilder am Rechner an und erzählt mir, ob es so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Und so suche ich dann die besten Bilder aus. Manchmal habe ich den Winkel doch anders genommen als geplant, und dadurch ist das Foto besser geworden. Wie bei meinem Lieblingsfoto: Da habe ich eine Frau gehört mit tollen Absätzen an den Schuhen. Als sie schon an mir vorbei war, habe ich sie fotografiert. Dadurch habe ich sie nur halb ins Bild bekommen. Aber wie die Frau mit ihren Absätzen gelaufen ist, hat sich wie Musik angehört. So tänzerisch. Können durch das Beschreiben nicht Missverständnisse über Ihre Bilder entstehen, die nie aufgeklärt werden?Doch, das kann durchaus sein. Es fließt ja auch der persönliche Geschmack ein. Oft will mein Mann Bilder löschen, die ich dann doch behalte. Und dann bekomme ich genau für diese Bilder eine gute Rückmeldung. Welche Bilder mag Ihr Mann nicht? Dadurch, dass ich blind bin, mag er nicht, wenn meine Bilder klar sind. Er sagt, das können ja Sehende machen. Und wenn ich den gleichen Anspruch habe wie Sehende, dann unterschiede ich mich ja gar nicht mehr von den Sehenden. Ich finde, da hat er recht. Deswegen möchte ich Fotos machen, auf denen die Details nicht so gut zu erkennen sind oder auf denen die Farben ineinander übergehen. Durch das Fotografieren beschäftigen Sie sich ausgerechnet mit dem Einen, was Sie nicht können. Warum machen Sie es sich so schwer? 2004 hat eine Fotografin über den Blindenverein Blinde gesucht, die mit ihr fotografieren wollten, und da war ich die einzige, die sich gemeldet hat. Wir haben an vielen Orten gleichzeitig fotografiert und später die Fotos verglichen. Als sie sie mir beschrieben hat, habe ich gemerkt, wie plötzlich ein Fenster aufging. Sie beschrieb sie mir, und ich hatte das Gefühl, dass ich wieder in ihre Welt eintauchen konnte, in die Welt der Sehenden. Und sie konnte besser in die Welt der Blinden eintauchen, weil sie Dinge beschreiben musste. Das ist gar nicht so einfach. Das war so spannend, da wusste ich: Das ist was für mich. Durch das Fotografieren habe ich auch angefangen zu malen. Ich empfinde das gar nicht als schwierig. Nur als aufregend. Fotografieren als Dolmetscher zwischen Sehenden und Blinden?Ja genau. Ein Medium, das ich nicht sehe, aber ich mache mir die Welt dadurch sichtbar. Und den Leuten gefallen die Fotos. Daran sehe ich, dass es mir gelingt, mein Gefühl reinzubringen und in Fotos umzusetzen. Ihre Fotos zeigen oft abstrakte Motive oder Gegenstände. Ist es nicht leichter, Menschen zu fotografieren, mit denen man beim Shooting sprechen kann?Nach Gefühl zu fotografieren ist einfacher als zum Beispiel Sie zu fotografieren. Da muss ich dann bestimmte Sachen einhalten, Lichter, Schatten, Kopf höher, runter. Spannender ist es, durch die Stadt zu gehen und spontan ein Foto zu machen, wenn mir die Atmosphäre gefällt. Manchmal schaffen es Menschen dadurch auf meine Bilder, aber eben nicht so deutlich; wie die Frau mit den Schuhen, nur halb auf dem Bild. Oder verschwommen – so wie ich träume. Meine Träume sind nicht mehr so klar, wie sie waren, als ich noch sehen konnte. Da sind die Menschen wie Schattenwesen hinter einem grauen Vorhang. Man kann nur erahnen, dass da jemand ist. So haben die Menschen auch Platz für ihre Interpretation. Deshalb mag ich abstrakte Kunst: Menschen bekommen nichts vorgegeben, sondern strengen die eigene Fantasie an. Man kann viel Fantasie bei Ihrer Bilderstrecke einer Mauer einsetzen. Die haben Sie so nah fotografiert, dass es auch der Grand Canyon sein könnte. Was war das für eine Mauer? Eine öffentliche Graffitimauer in Spandau, auf die jahrelang Farbe draufkam. Durch die Witterung ist die Mauer aufgeplatzt. Dann haben Sie also viel getastet, um sie zu fotografieren? Ja, durch das Aufplatzen der Farbe war die Struktur sehr gut zu fühlen. Das musste ich einfach festhalten. Beim Tasten hatte ich selbst eine Vorstellung, von dem, was ich darin sehe: Wesen und Blumen. Von der Äußerlichkeit waren die gar nicht da, aber durch diese Strukturen hat es sich wirklich so angefühlt. Ich habe fast den ganzen Tag an der Mauer getastet, das war so spannend. Kann nur jemand fotografieren, der nicht von Geburt an blind ist? Ich glaube, es ist dann einfacher. Aber es hängt davon ab, wie jemand aufgewachsen ist. Ob er gut gefördert wurde. Wenn die Eltern viel erzählt haben, ihm viel gezeigt haben und ihn viel haben anfassen lassen, dann ist einiges möglich. Wie viele Bilder werden etwas? Wenn ich 50 mache, kann es sein, dass 20 was geworden sind, aber manchmal auch nur ein Foto. Ich nutze eine Digitalkamera und da nur den Zoom. Ansonsten knipse ich einfach. Welches Foto möchten Sie unbedingt mal schießen? Ich möchte mal am Abend unterwegs sein. Die Leute erzählen immer etwas von einer blauen Zeit, da würde ich gerne mal den Sonnenuntergang fotografieren. Und im Hintergrund eine ganz tolle Szene aus der Stadt, in der vielleicht schon die Lichter angehen. So, dass ein Farbwechsel am Himmel zu sehen ist und die Lichter in den Farbwechsel reinlaufen. Das fände ich toll. Silja Korn, 50, fotografiert nicht nur, sie ist nach eigener Aussage auch die erste blinde Erzieherin in Deutschland. Sie hat sich auf die Sprachförderung von Kindergartenkindern spezialisiert. Daneben spielt sie Theater und malt. Von Geburt an sehbeeinträchtigt, erlitt sie als Zwölfjährige einen Unfall, in dessen Folge sie völlig erblindete. Und die Bildunterschrift unter dem Foto von der Frau, deren Schuhe für Dich wie Musik klangen: Ohne Schärfe Silja Korns Fotos sind oft unscharf. Das ist Absicht. Sie will damit zeigen, wie sie sich die Welt vorstellt: Details verschwimmen, Farben gehen ineinander über Liebe Grüße von Yannika und Silja