Die eintretende Pubertät und die völlige Erblindung die ich durch einen
schweren Autounfall mit 12 Jahren erlitt, brachten mich förmlich aus dem
Gleichgewicht. Ich hatte gerade begonnen eine Beziehung zu mir selbst
herzustellen und fing an mich vor dem Spiegel näher zu erkunden. Als
mich der Autounfall unvorbereitet nach und nach aus meinem bisherigen
Leben raus riss, weil die Sehfähigkeit durch den Aufprall auf’s Pflaster
schaden nahm und somit mir mein bis dahin unbeschwertes Leben geradewegs
gnadenlos genommen wurde. Streng genommen fühlte es sich innerlich für
mich so an: Du bist nun "behindert" und somit nicht mehr normal und
daher bist Du auch nicht mehr allzusehr attraktiv für die sehenden
Jungen.
Wie beneidete ich da meine Schwester, die nur ein Jahr jünger
war als ich, die sich aufstylen konnte und freiweg mit jedem Jungen
flirten konnte.
Ich wehrte mich damals dagegen, mich mit blinden Jungen zu umgeben. Dies
empfand ich als Abwertung. Der Wunsch mich wieder selbst im Spiegel zu
betrachten, verstärkte sich innerlich mehr und mehr in mir. Ich wollte
ebenso, wie meine Schwester wissen, wie ich auf andere Menschen mit
meinen Reizen wirke. Leider, leider, blieb mir diese Erfahrung zu dieser
Zeit aus.
So bedrängte ich meine Schwester immerzu damit, es mir zu sagen, die
sich dann irgendwann aus Hilflosigkeit heraus, sich so in die Enge
getrieben und genötigt fühlte, das sie sich hinreißen ließ etwas
derartiges zu äußern, was sie später zutiefst bereute. Dennoch hatte die
Erfahrung längst schon etwas in meiner Vorstellung ausgelöst,
dass ich wohl in Wirklichkeit hässlich bin.
Ich schrie verzweifelt zu Gott, er möge mich doch bitte wieder sehend
machen, damit ich mich selbst davon überzeugen könne, wie ich aussah!
Doch erhörte er mich nicht.
Mein Selbstwertgefühl sank mit jedem weiteren Tag. Ich saß dann in
meinem Zimmer und weinte und grübelte vor mich hin. Verstand doch
niemand meine Not. Ich begann mich immer mehr mich zurück zu ziehen,
teilte nun noch seltener mit, wie es in mir aussah. Ich suchte Zuflucht,
in dem ich nichts mehr essen wollte. Durchs nichts essen spürte ich
"mich" und "meinen Körper" paradoxer Weise wieder ein Stückchen mehr.
Die Menschen zeigten Interesse an mir. Ich ahnte zwar, dass dieses
Interesse mehr meines Erhaltes galt, dennoch beglückte es mich den
Moment der Aufmerksamkeit zu erhaschen. Außerdem brachte mir das Hungern
figürlich gesehen, den erwünschten Effekt ein. Das Wissen schlank zu
sein, erweckte in mir ein Gefühl von Stolz. Hörte ich nun von mehreren
Seiten, das ich ein hübsches Mädchen sei, so konnte ich dies zuerst gar
nicht glauben und dachte, ich hätte ein Kompliment vernommen, was gar
nicht mir galt. Mein gestörtes Verhältnis zu mir selbst trieb mich immer
tiefer in die Isolation, beschränkte sich mein Leben nur noch auf das
nicht essen wollen. Heute weiß ich, dass; dies ein Hilfeschrei war, da ich
doch selbst nicht wußte, wie ich nun mit diesen so neuen Leben fertig
werden sollte. Ich fühlte nur Leere in mir, die sich immer mehr
verselbstständigte. Ich wußte zu dieser Zeit nicht, wie ich dies meiner
Umwelt anders begreiflich machen sollte. Ich wollte doch auch nur wieder
ein gänzlich schwereloses Leben führen können wie andere auch. Ich
fühlte mich von Gott ungerecht behandelt. Was war mir noch von alldem Werdenden
übrig geblieben?
Es fehlte mir doch noch die nötige Vorstellung, mein Leben in die Hand zu
nehmen. Sah doch mein weiteres Leben für mich unerreichbar aus. Da
stellte ich mir die Fragen: Würde ich es je schaffen allein zu leben?
Welchen Beruf würde ich ausüben können? Wer würde eine blinde Frau je
heiraten wollen? Würde ich jemals Kinder bekommen können?
Es war doch niemand so recht in der Lage meine Zerrissenheit zu
entzerren. Hatte ich doch niemanden, dem ich mein Herz hätte offenbaren
können. War doch mein Wunsch nur, so zu sein, wie die vielen Mädchen auf
der Welt. Wollte ich auch nur glänzen, wie meine Schwester es tat. Was
hatte ich schon zu bieten? Ich fühlte mich eher so wie Aschenputtel im
Märchen. So sah ich meine Schwester als Inbegriff der Schönheit an. Ich
wünschte mir so sehr, das mich die Jungen genauso anhimmelten, wie sie
meine Schwester anhimmelten. Da ich so mit mir beschäftigt war, bemerkte
ich nicht, dass es auch Jungen gab, die sich ausschließlich nur für mich
interessieren und denen das gar nichts auszumachen schien, das ich blind war.