Jeder Mensch hat Wünsche und Träume, ob nicht behindert oder behindert, die er gerne verwirklicht wissen möchte. Auch wir, die nichts oder noch ein wenig sehen können, lieben es, uns hübsch zurecht zu machen und wir interessieren uns natürlich auch für die aktuelle Mode und schicke Frisuren.
Schon als Mädchen von 10 Jahren habe ich davon geträumt Mannequin zu werden.
Jede Modenschau sah ich mir im Fernsehen an und die Zeitschriften meiner Mutter waren vor mir auch nicht sicher. Mein Traum war es einmal so
auszusehen, wie die Frauen im Fernsehen und in den Magazinen. Ich
verbrachte viel Zeit damit, meine Vorstellungen darüber, wie ich
als Erwachsene gern aussehen wollte, auf Zeichenpapier festzuhalten. Als ich mit 11 Jahren von einem Auto erfasst worden bin und dadurch ein Jahr später fast völlig erblindete, war der Traum wie eine Seifenblase zerplatzt.
Da ich trotz meiner Beeinträchtigung einmal modeln könnte, hielt ich damals noch nicht für möglich. Ganze 28 Jahre später stieß ich jedoch im Internet auf einen Artikel, in dem davon berichtet wurde, daß Menschen im
Rollstuhl genau dies taten. Ich erinnerte mich wieder an meinen lang
gehegten Wunsch, selbst einmal vor der Kamera stehen zu wollen.
Ich war inzwischen 40 Jahre alt geworden und dachte: "Wenn nicht jetzt,
wann
dann?" Somit nahm ich den Beitrag zum Anlaß intensiver im Netz zu
recherchieren, ob es ähnliche Projekte auch speziell für blinde oder
sehgeschädigte Menschen gibt. Dabei stieß ich auf einen Bericht der davon
erzählte, wie Models mit visuellen Einschränkungen Jeansmoden vorführten.
Ich erzählte einem guten Freund davon, auch gern modeln zu wollen. Er
brachte mich auf die Idee mich doch diesbezüglich einmal an verschiedene blindenspezifische Hilfsmittelfirmen zu wenden. Gesagt! Getan! Und prompt reagierte ein
Uhrenhersteller aus der Schweiz auf mein Anliegen, der sowohl Uhren für
Normalsehende, als auch für Blinde und Sehgeschädigte vertreibt. Er fand
meine Idee großartig und lud mich zu einem Shooting in die Schweiz ein.
Seine Uhren an einem blinden Modell ablichten zu lassen war auch für ihn
eine neue Erfahrung. Er hatte sich für mich eine richtige Fotostrecke
ausgedacht. Fünf verschiedene Orte waren dafür vorgesehen. Jeder für sich,
stellte eine besondere Herausforderung für die Fotografin und mich dar. Die schwierigste Aufgabe bestand darin, auf einem störrischen Hengst sitzen zu
bleiben und dabei ein entspanntes Lächeln zustande zu bringen. Der spätere
Betrachter der Fotos sollte ja schließlich den Eindruck vermittelt
bekommen,
daß das Pferd und ich eine Einheit bildeten. Das ist uns leider nicht so ganz gelungen, wie man auf dem Foto im Uhrenkatalog sehen kann. Der Hengst ist etwas ungehalten.
Die
Fotografin hat ihr Bestes gegeben und ich hatte nicht damit gerechnet, dass
sie von dieser Einstellung tatsächlich brauchbare Fotos zustande bekommt.
Der Hengst hatte im Grunde nichts gegen mich, er wollte nur auf dem
schnellsten Weg zu den Stuten in den Stall zurück.
Nach diesem ereignisreichen Tag, war ich ganz schön geschafft, aber fühlte mich innerlich
so glücklich, denn mein Traum war Wirklichkeit geworden.
Mein zweiter Herzenswunsch schien von außen betrachtet ebenso absurd zu
sein
wie mein Interesse für die Fotografie. Er bestand darin, wieder malen zu
können. Personen, denen ich davon erzählte, waren im ersten Moment meist
etwas irritiert. Sie fragten sich, weshalb sich eine Blinde für Farben
interessiert, wo sie diese doch selbst nicht sieht? Ich habe die
Vorstellung
von Farben jedoch nie ganz verloren und weiß beispielsweise noch gut, wie
die Farbe rot aussieht.
Es ist mir so wichtig, wieder malen zu können, weil
ich dies vor meiner Erblindung sehr intensiv getan habe. Das Malen stellte
für mich einen wichtigen Ruhepol dar, der mir dabei half, wieder zu mir zu
finden. Es schien mir so, als wollten die Farben aus meinem Inneren endlich
wieder befreit werden.
Als ich später durch eine Eltern-Mailingliste davon
erfuhr, daß blinde Kinder malten, wollte ich es im ersten Moment gar nicht
glauben. Ich recherchierte wieder im Internet und fand einige Berichte zu
diesem Thema. Jetzt wollte ich es wissen! Ich kontaktierte eine Künstlerin
in meiner Nähe, welche mich in ihr Atelier einlud.
Ich erfuhr, daß sie
ihre
Bilder teilweise auch mit tastbaren Materialien gestaltet. Als ich ihre
Werke unter meinen Fingern betrachtete, reifte in mir die Idee heran, sie
zu
fragen, ob sie mich in der Malerei unterrichten könnte.
Sie erbot sich eine Woche Bedenkzeit, da sie bis zu jenem Zeitpunkt noch
nie
mit blinden Menschen gearbeitet hatte. Schließlich gab sie mir zu meiner
großen Freude ihr Okay. Auch dieser Traum nahm also langsam Gestalt an. Wir
trafen uns nun regelmäßig in ihrem Atelier.
Ich musste viele grundlegende Techniken wieder neu erlernen. Ganze 30 Jahre
keinen Pinsel mehr in der Hand gehalten zu haben, machte sich bemerkbar.
Die
ersten Bilder gestaltete ich zunächst mit den Fingern, um so wieder ein
Feingefühl für die verschiedenen Materialien und Utensilien zu entwickeln.
Wir arbeiteten unter anderem mit einem Künstlerspachtel. Es fiel mir
anfänglich ziemlich schwer, diesen so zu halten, dass die Farbe nicht
gleich
wieder herunter fiel. Da manche Farben in ihrer Konsistenz eher zähflüssig
sind, hieß es, sie schnell auf die Leinwand aufzutragen. Wir entwickelten
gemeinsam spezielle Maltechniken für mich und ich schärfte während der
kreativen Prozesse zunehmend meine Fertigkeiten.
Und so wird's gemacht: Die Farbe wird pastös mit dem Pinsel, Spachtel,
Naturschwamm oder auch mit den Händen aufgetragen. Zusätzlich wird mit
verschiedenen Pasten, Sand und anderen Materialien gearbeitet. Die
entstandene Oberflächenstruktur kann man nach dem Trocknen ertasten und auf
diese Weise die Bilder "betrachten".
Mir kam es vor, als würde sich
"wieder" ein Fenster zur Außenwelt für mich öffnen wollen. Das Hantieren
mit
den unterschiedlichsten Malwerkzeugen gab mir neuen Antrieb und befreite
mich aus meiner inneren Isolation.
Nach einigen Monaten hatte ich nahezu 20
Arbeiten fertig gestellt. Dabei entstand die Idee, eine
Gemeinschaftsausstellung zu organisieren, um die Bilder erstmalig der
Öffentlichkeit vorzustellen. Es folgten vier weitere und das Interesse
reißt
nicht ab. Nähere Informationen zu meinen Ausstellungen sind hier auf meiner
Webseite nachzulesen.
Ich möchte zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, als blinder Mensch malen
zu können. Natürlich ist die Herangehensweise eine andere und nicht mit der
eines Sehenden zu vergleichen. Es ist wichtig, nicht nur die Möglichkeiten
aufzuzeigen, sondern auch die Grenzen zu benennen. Als Blinder wird man nie
ganz ohne Hilfestellung eine Arbeit bis zum Ende selbstständig fertig
stellen können, doch das finde ich persönlich überhaupt nicht schlimm, denn
auch Menschen die keine Beeinträchtigung haben, nehmen gerne Hilfsangebote
in Anspruch.
Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Schwachpunkte. Wer das
akzeptiert, dem fällt es auch leichter, Hilfestellungen anzunehmen.
Ich möchte Menschen mit und ohne Handicap darin bestärken, an ihre Wünsche
und Vorstellungen zu glauben und sie umzusetzen. Kein Anderer, nur man
selbst, kann beurteilen, was für die eigene Person gut und richtig ist.
Ich freue mich sehr darüber, 2007 für mein Engagement und meine positive
Lebenseinstellung von der Kampagne "Chancengleichheit für ALLE" zum "Face
of
the Year" ernannt worden zu sein.
Mein Motto ist: höre nicht auf andere,
höre auf Dich.
Tel. +49/(0)341/711 31 20
Hörbuch wie Buch kosten 9,95 Euro.
Titel: Hinter Aphrodites Augen
Herausgeberin: Jennifer Sonntag
ISBN 978-3-941 134-51-5