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Das Licht im Dunkel

Die Sonne ... wieder sehen wollen!

Vor 38 Jahren erblickte ich zum letzten Mal die warmen, angenehmen Strahlen der Sonne.

Mit 12 Jahren erlitt ich einen schweren Unfall durch ein Auto. Damals im Februar überquerte ich an einer Kreuzung eine stark befahrene Straße, die vor meiner Haustür entlang führt. Ich wollte Wasserflöhe für meine Goldfische holen gehen. Plötzlich erfasste mich ein Auto, ich stürzte mit dem Kopf auf den Asphalt und verlor dabei das Bewusstsein. Im Krankenhaus erwachte ich erst wieder aus der Ohnmacht, als der Arzt mir gerade eine Spritze in den Po setzen wollte.

Das Licht das da noch durch meine Augen schimmerte, war unheimlich grell und schmerzhaft, als würde durch mich hindurch ein spitzer scharfer Pfeil fahren wollen, sodass ich die Augenlider gleich wieder schloss.

Wo bin ich? – dachte ich noch etwas benommen, von weit her kommend so bei mir. Meine anderen Sinnesorgane, die "Nase", roch Desinfektionsmittel und die "Ohren" signalisierten mir, dass ich mich wohl in einem Krankenhaus befinden müsste. Ich öffnete meine Augen erneut. Aber diesmal etwas vorsichtiger, langsamer, erst einmal einen kleinen Spalt breit und sah meinen Vater besorgt neben mir stehen. Er gab dem Arzt einen Wink, dass ich nun endgültig erwacht sei. Der Arzt trat an das Bett und fragte mich, ob ich mich noch erinnern könne, was geschehen sei.

Mein Vater eilte mir sofort zu Hilfe, indem er für mich antworten wollte. Der Arzt machte meinem Vater durch eine Handbewegung deutlich, dass er unbedingt schweigen müsse. „Sie muss alleine darauf kommen was passiert ist, denn sonst hat sie später große Erinnerungslücken", erwiderte er mit rauer streng klingender Stimme. Mein Vater schloss ergriffen seinen Mund und ließ etwas kleinlaut, achselzuckend die Schultern sinken und sah mich erwartungsvoll an. Das Gesicht des Arztes war so konzentriert auf mich gerichtet, dass ich seinen Blick wie eine Bedrohung empfand und er mir zugleich auch noch große Angst einflößte.

Er hielt in der rechten Hand, wie ein Gewinner triumphierend sein Gewinn, eine aufgezogene Spritze in die Höhe und sagte zu mir, er müsse sie mir jetzt in den Po geben, damit ich keine Infektion bekäme. Beim Pieks der Nadel fiel mir schlagartig wieder ein, was geschehen war. Ich fing haltlos zu weinen an und sprach mit brüchiger Stimme: „Ich wollte die Straße überqueren um wegen der Wasserflöhe zu Karstadt zu gehen, als aus dem Nichts ein Auto schnell auf mich zufuhr. Ich wollte noch zur Seite gehen, was mir leider nicht mehr gelang. Da hatte mich das Auto schon erwischt und ich stürzte auf den Asphalt. "Der Arzt sprach im Flüsterton zu meinem Vater gewandt, dass ich eine schwere Gehirnerschütterung und vielleicht sogar auch einen Schädelbasisbruch davon getragen habe. Zweites erwies sich glücklicherweise als nicht passiert. Ich hatte Gott sei Dank nur eine schwere Gehirnerschütterung, ... nur.

Nach drei Wochen wurde ich dann als geheilt aus dem Krankenhaus entlassen und ein Arzt leuchtete mir noch lapidar mit einer Taschenlampe in die Augen und sagte: „Alles in Ordnung. " Er sah die Blutung im Augenhintergrund nicht. Ein Jahr später war mein Sehrest so schwach geworden, dass ich plötzlich beim Hausaufgaben machen, meine eigene Schrift nicht mehr erkannte. Das Blatt war immer noch weiß und leer, obwohl ich viel darauf geschrieben hatte.

Ein Gedanke ging mir ruckartig durch den Kopf, – hatte ich wohl zu viel mit dem Tintenweg–Schreiber in meinem Hausaufgabenheft herumgewirtschaftet? Ich lief dann mit Bangen und voller Sorge zu meiner Mutter hin und fragte sie völlig aufgelöst: „ Ist denn das Blatt beschrieben?" „Ja", meinte sie doch etwas zögerlich, und sah mich entsetzt an und ihr Blick, den ich spürte, schien zu fragen, „Kannst Du etwa Deine eigene Schrift nicht mehr erkennen?" „Nein", platzte es da nur aus mir mit von Panik erfüllter Stimme heraus!

In den vergangenen Wochen, Monaten hatte ich es nicht bemerkt, dass das Augenlicht immer schlechter wurde. Sicher war ich dafür noch zu jung, um dies richtig deuten zu können. Mein Vater ging mit mir am nächsten Tag zum Augenarzt, der mich dann gleich ins Krankenhaus einwies.

Die Operation half nichts mehr. Ich konnte zu dieser Zeit noch die Sonne sehen und erfreute mich sehr daran. Nach der Operation hieß es, ich müsse wohlmöglich bald zur Blindenschule wechseln, da der Sehrest nun nicht mehr ausreiche um die Sehbehindertenschule weiterhin zu besuchen.

Aufgrund dass ich zu früh dass Licht der Welt erblickte, musste ich erst einmal in einem Brutkasten drei Monate lang aufgepäppelt werden, was zur Folge hatte, dass ich einen Sehfehler davon trug weil der Sauerstoffanteil zu hoch war.

Jedoch mit einer Brille und Lupe konnte ich glücklicher Weise die normale Schrift noch erkennen und lesen und schreiben. Ohne Blindenstock konnte ich mich im Straßenverkehr bewegen. Ich sah noch so viel, dass ich mich an dem vielfältigen Farbenspiel der Natur erfreuen konnte. Ab dem Tag, als ich meine eigene Schrift nicht mehr erkannte, ging es sehr schnell bergab mit dem Sehen.

Die Gegenstände wurden immer mehr zu tiefschwarzen Schatten. Die Kontraste waren so in einander vermischt, dass ich manchmal ein Pfahl nicht mehr von einem Baumstamm unterscheiden konnte. Im Winter als sehr fiel Schnee gefallen war, konnte ich noch dadurch gut die Umrisse der Bäume ... wahrnehmen; immerhin etwas das ich noch sehen konnte.

Dies war leider nicht lange der Fall, denn nach einigen Monaten sah ich nur noch das Licht von Lampen oder wenn die Sonne so hell ins Fenster schien. Das Licht war irgendwann nicht mehr so leuchtend hell, sondern es sah so aus, als würde sich ständig auf den Lichtstrahl eine graue Wolke legen. Ich wollte eine Zeitlang gar nicht mehr meine Augen schließen, weil ich befürchtete, beim nächsten öffnen der Augen keine Helligkeit und Lichtschimmer mehr wahrnehmen zu können.

Ich war noch nicht lange zur Blindenschule gewechselt, da erwachte ich eines Morgens und sah nichts, nicht einmal mehr einen kleinen Lichtschimmer. Ich wischte aufgebracht mit zittrigen Händen über meine Augen und zwinkerte leicht mit meinen Augenlidern. Es half alles nichts! Es war soweit, ich war blind geworden. Da erschrak ich zutiefst und war wie gelähmt. Ich hoffte von nun an, alsbald wieder aus dem Alptraum zu erwachen und wenigstens das Licht der Sonne wieder sehen zu können. Dies hat sich bislang nicht bewahrheitet. Er führte mich eher in ein tiefes, steiles, dunkles Loch, aus dem ich mich schwer an die Oberfläche empor kämpfte und mich fragte, wie es nun wohl weitergeht ohne etwas sehen zu können!

Die Finsternis der inneren Sonne legte sich, wie eine bleierne Ente auf mein Gemüt.

Mitten in der Pubertät blind zu werden, überforderte mich sehr. Es war für mich eine harte Zeit ohne Hoffnung, Zuversicht und ohne Freude. Lieber wollte ich tot sein. Die Vorstellung von nun an in diesem Zustand gefangen zu sein und weiter leben zu müssen und sich nie wieder selbst mit Hingabe im Spiegel sehen und betrachten zu können, warf mich völlig aus der Bahn.

Meine Geschwister gingen in die Disco und nahmen mich, den "Klotz am Bein" auch auf Drängen unserer Eltern eher widerwillig mit. Natürlich wollte auch ich, wie meine ein Jahr jüngere Schwester wunderschön aussehen und einen "Freund" haben. Doch das gestaltete sich als ungemein schwierig. Ich versuchte oft jemanden anzulächeln, doch meist lächelte ich ins Leere. Wenn mich jemand anlächelte, bemerkte ich es leider nicht. Meine Geschwister sagten mir ab und an Bescheid, wenn mich jemand beachtete, anlächelte.
Selbst beim Flirten benötigte ich Hilfe. Es war so hart und grausam.

Ich musste wieder lesen und schreiben lernen, Brailleschrift. (Nach Louis Braille benannt, dem Erfinder der Brailleschrift 1809 - 1852) Ob ich dies wollte oder nicht stand nicht zur Debatte, ich musste die Brailleschrift erlernen. Ich wollte nicht. Ich lehnte alles ab was auf meine Blindheit hinwies. Mein älterer Bruder, der es übernommen hatte, mir beim erlernen der Brailleschrift unter die Arme zu greifen, bekam meinen ganzen Zorn, Wut auf das, was mir von nun an bevorstand ab. Das Braillebuch feuerte ich regelmäßig in die Ecke. So sehr tobte ein Vulkan in mir. Die Weinkrämpfe, die mich dann immer zu übermannten, erschwerten es uns sehr am Lernstoff weiter zu arbeiten. Auch ließ ich mich schwer zu beruhigen. In der Blindenschule auf die ich gar nicht gehen wollte, fühlte ich mich nicht wohl.

Die Lehrer haben uns nur den Lehrstoff vermittelt; auf die Probleme, die wir Kinder mit unserer Blindheit und unserem Leben hatten, wurde nicht eingegangen. Sie hatten wohl genug eigene Probleme damit an einer Blindenschule zu unterrichten. Im Laufe der Zeit, wie sollte es anders sein, erfuhr ich von der Autorin Helen Keller (1880 - 1968), die taub–blind war. Sie war leider schon 2 Jahre nach meiner Geburt verstorben. Mit ihr Kontakt aufnehmen war also nicht mehr möglich.

Ihre Bücher waren der Grund für mich, dass ich die Brailleschrift mit wachsendem Interesse lernte, um ihre Lebensgeschichte, die mich sehr inspirierte, ermutigte und in ihr Bann zog, lesen zu können.

Wohl aus meiner Unzufriedenheit, Unverstandenheit an der Blindenschule heraus, reifte in mir der Gedanke heran, als Katalysator zwischen den Kindern, Lehrern und Eltern zu fungieren. Ich hatte ein Ziel! Etwas Sonnenlicht aus mir heraus trat wieder in mein Leben zurück. Von nun an wollte ich Erzieherin werden und bewarb mich nach der mittleren Reife an der Erzieherfachschule um einen Ausbildungsplatz. Glück gehabt; ich wurde angenommen, absolvierte die Ausbildung und bestand die Prüfungen. Die Staatliche Anerkennung wollte man mir jedoch nicht erteilen; aus Gründen der Aufsichtspflicht.

Da ja vorher ja bekannt war, dass ich blind bin, wollte ich dies nicht wahr haben und auch nicht einfach so hinnehmen. Ich suchte Hilfe und bekam diese tatkräftig von meiner Klassenlehrerin an der Erzieherfachschule und von außerhalb der Schule. Nach mehreren Monaten des Kampfes mit den Instanzen war es dann endlich soweit. Ich bekam die Staatliche Anerkennung wie alle anderen auch zuerkannt und bewarb mich an der Blindenschule auf die ich vor der Ausbildung gegangen war, um mein damaliges Vorhaben in die Tat umzusetzen. Vergebens, ich durfte nicht, die Blindenschule hatte mich abgelehnt. Kein Bedarf, hieß es lapidar und ich war sehr traurig und enttäuscht darüber. Da war nichts zu machen. Ich bewarb mich nun bei vielen Kitas in meiner Stadt und wurde endlich von einer integrativ arbeitenden Kita in Berlin Schöneberg angenommen. Diese Kita wurde leider geschlossen und ich wechselte in eine andere Kita in der ich nicht gewollt war. Neid und Missgunst seitens der Kolleginnen war pures Mobbing, was mich bald psychisch über meine Belastungsgrenze brachte. Ich spielte schon mit dem Gedanken den Beruf an den Nagel zu hängen, weil ich überzeugt war, dass dieser Beruf doch nicht der richtige für mich sei. Mein Ehrgeiz gepaart mit Durchhaltevermögen hielt mich letztlich doch davon ab. Der Wechsel in eine andere Kita war unbedingt notwendig und wurde realisiert. Heute bin ich in einer Regelkita in Berlin Tempelhof tätig, arbeite im Sprachbereich und bilde mich zur Spracherzieherin weiter. Nach nun seit über 25 Jahren im Beruf tätig, bin ich froh, dass ich Brücken zwischen den Welten bauen kann und die Kinder merken, dass ich ein ganz normaler Mensch bin. Ich sehe halt nichts, doch das empfindet in der Kita niemand als schlimm. Im Gegenteil, sie empfinden es als eine Bereicherung. Die Kinder müssen nicht zu mir kommen, sie wollen es von sich aus, weil ich für sie interessant bin; ich bin anders als die anderen Erzieherinnen in der Kita. Sie haben gemerkt, dass sie stummes Nicken, Zeigen oder auch ein "da" nicht weiterbringt. Mit mir müssen die Kinder reden und sie tun es gerne. Mit sogenannten "Problemkindern" habe ich keine "Probleme". So verschlossen und unumgänglich sie bei meinen Kolleginnen auch manchmal sein mögen, mit mir reden sie nach anfänglicher Unsicherheit frei von der Leber weg. Sie fühlen sich von mir schon sehr wahrgenommen, aber sie fühlen sich nicht so beobachtet von mir, denn sehen kann ich sie ja nicht ...

Als Kind habe ich mit Leidenschaft gemalt; Schlösser, Prinzen, Prinzessinnen mit langen Haaren in schicken Kleidern. Unbedingt ohne wenn und aber, wollte ich eine Prinzessin, wenn ich groß bin, werden. Davon träumte ich, wenn ich diese mit allem drum und dran malte. Nach der Schule habe ich erst gemalt und dann meine Hausaufgaben erledigt. Mit meiner Erblindung war das malen leider vorbei. Töpfern, weben und Speckstein waren nichts für mich. Glitschig, langweilig und staubig wollte ich nicht. Auf den Gedanken, dass ich auch als blinder Mensch ohne weiteres malen kann, bin ich erst nach mehreren Jahrzehnten gekommen. Es war wie ein innerer Druck, wie ein Zwang, der zunehmend stärker wurde. Die Farben wollten sozusagen aus mir heraus, durch meine Finger mit farbenfroher Leichtigkeit auf die Leinwand strömen.

Die Farben waren stärker als meine Unsicherheit, Ängstlichkeit und ich fing wieder an zu malen. Ich sah mit meiner Blindheit keinen Sinn darin, gegenständlich zu malen, mich an den Sehenden zu orientieren, mit sehenden Malenden verglichen zu werden. Wobei ich auch einige Bilder mit abstrahierten gegenständlichen Motiven angefertigt habe, die auch ihre Liebhaber gefunden haben.

Haptisch, abstrakt malen; Stimmungen, Eindrücke, Gefühle auf der Leinwand darzustellen, das ist meine Art des Malens. Unter die Farben mische ich verschiedene Materialien, z. b. Steine, Sand, Papier oder installiere sie nachträglich in und auf die Farbe. Dadurch werden meine Bilder fühlbar und unterscheiden sich deutlich von denen anderer Künstler/innen. Meine Bilder bekommen Namen, Titel, die der Betrachter als "Aufhänger" wahrnimmt um mit mir ins Gespräch zu kommen. Die Menschen staunen und sind erstmal skeptisch, dass eine Blinde malt und sogar fotografiert, was ja rein visuell ist. Im laufe des Gespräches vergessen sie jedoch zumeist dass ich blind bin und sprechen von Mensch zu Mensch.

Ich lebe nach dem Motto: Höre nicht nur auf Andere, höre auch auf Dich.

Darum ließen wir, mein Mann und auch ich, uns nicht davon beirren, obgleich es einige Einwände und Widerstände aus der nähren Umgebung gab, dass ein sehender Mann, eine wie mich heiraten will und dass er auch noch vorhatte, eine Familie mit mir, "Der Blinden" gründen wollte. Das geht doch so gar nicht war deren Fazit! Ob er denn wisse was er da tue! Letztlich haben wir es allen gezeigt, sind seid 25 Jahren verheiratet und haben gemeinsam unseren Sohn groß gezogen.

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