Mina sitzt in der Schule und überlegt, wie Sie mit dem Aufsatz beginnen
könnte!
Was ist anders in meiner Familie?
Meine Klassenlehrerin Frau Klein hat diese Überschrift gewählt, weil
kürzlich einige Kinder aus meiner Klasse fürchterlich über meine Mutter
gelacht haben.
Meine Mom ist blind. Darum benötigt sie einen Blindenstock um den Weg
sicher zu finden. Ich finde, dass meine Mom sehr gut mit dem Blindenstock
zurecht kommt und ich finde auch nicht, dass dies zum lachen aussieht. Es
kommt auch selten vor, dass meine Mom mich zur Schule begleitet, da
ich den Weg gut allein bewältige. Ich muss nur eine Straße überqueren und
die Straße hat auch einen Zebrastreifen. Wenn ich diese Straße überquert
habe, dann muss ich nur noch einmal um eine Hausecke gehen und schon
stehe ich vor dem Haupteingang meiner Schule.
An dem Tag als mich meine Mom zur Schule begleitet hat, haben wir einen
schweren Koffer transportiert. Weil ich an diesem Tag auf Klasssenfart
gefahren bin. Da mein Vater beruflich viel unterwegs ist, bot sich
meine Mom an, mir beim Koffer tragen zu helfen. Ich habe noch nie so
recht darüber nachgedacht, was in meiner Familie anders ist? Denn für
mich ist es ganz normal, dass meine Mutter mit den Händen, Ohren, Füssen
und Nase „sieht“.
Als ich noch klein war hat es mich sehr gestört, dass die Menschen meine
Mom und mich ständig von oben bis unten mit mitleidigen Gesichtern
beäugt haben. Viele sprachen mich dann an, wenn die Mutter sie nach den
Weg gefragt hat. Dass spürte meine Mom und sagte dann, ich bin die
Mutter und nicht dass Kind! Einige verstummten dann und gingen ohne noch
etwas zu erwidern fort, weil sie wohl merkten, was sie angerichtet
hatten. Meine Mom engagiert sich darum ehrenamtlich im Blindenverein,
um sich dafür verstärkt einzusetzen, dass die Menschen mit Menschen die
nichts sehen können besser umgehen können. Wie häufig berichtet mir
meine Mom davon, dass sie über eine Straße gezerrt worden ist, wo sie
letztlich nicht hin wollte. Oder sie wurde vor einen Laternenpfahl
geführt, weil die führende Person nicht wusste, wie man einen nicht
sehenden Menschen geschickt drumherum führt, damit so etwas nicht
passiert: Trifft man einen blinden Menschen auf der Straße an, der
versucht gerade konzentriert die Orientierung wieder zu finden, dann
spricht man ihn in gemäßigten Tonfall an, damit er sich nicht erschreckt
und fragt dann ob man ihm behilflich sein kann. Nicht einfach am Arm
zerren und ihn irgendwo abstellen, dass bringt denjenigen völlig aus der
Richtung. Sagt derjenige jedoch ja, dann bietet man denjenigen seinen
Arm an. Der nicht sehende Mensch, kann dann selbst für sich entscheiden,
wie und ob er geführt werden möchte.
Meine Mom geht jeden Morgen um 8.00 Uhr zur Arbeit. Damit sie nicht zu
spät zur Arbeit los geht, hat sie eine Armbanduhr, wo sie mit dem
Zeigefinger auf dem Zifernblatt die Uhrzeit abliest. Sie arbeitet bei
einer Firma für blindenspezifische- und Sehgeschädigte spezifische
Hilfsmittelprodukte. Sie muss dafür die öffentlichen Verkehrsmittel
nehmen, da die Firma zu Fuß nicht zu erreichen ist. Dort sitzt sie am
Telefon und nimmt die Bestellungen entgegen. Dafür hat sie eine
Brailleschreibmaschine. Die Maschine hat sechs Tasten damit kann sie
alle Buchstaben des Alphabets in Braille (Louis Braille“geb. Jan. 1809
gest. Jan. 1852“, ist der Erfinder der Blindenschrift), schreiben und in
der Mitte der sechs Tasten befindet sich auch eine Taste die den
Zwischenraum zwischen den Wörtern setzt.
Das lesen und schreiben der Blindenschrift hat sie in der Blindenschule
gelernt. Meine Mom ist nicht geburtsblind sondern mit 12 Jahren durch
einen schweren Autounfall erblindet. Daher weiß sie auch was Farben
sind. Manchmal ist sie deshalb unheimlich traurig, weil sie die
Farbenpracht der Natur sehr vermisst.
Als ich klein war hat mich meine Mom jeden Morgen zum Kindergarten gebracht.
Es gab eine Zeit, da wünschte ich mir eine Mutter die sehen kann. Denn
wenn ich mit meiner Mom allein unterwegs war, musste ich sie immer
anfassen und dass gefiel mir ganz und gar nicht. Denn meine
Kindergartenfreunde sprangen immer frei vor ihren Müttern hin und her
und dass wollte ich natürlich auch sehr gerne.
Dass sagte ich eines Tages meiner Mutter beim Abendbrotessen.
Mina, begann dann meine Mutter, dass verstehe ich sehr wohl, dass du dies
gerne möchtest, nur ich kann dich ja nicht sehen und möchte nicht, dass
dir etwas passiert, darum ist es mir lieb, wenn wir beide allein
unterwegs sind, dass du mich anfasst. Dass leuchtete mir dann auch ein.
Dann erläuterte Mom weiter, ist der Straßenverkehr doch viel zu
gefährlich, gibt es leider noch viel zu wenige Ampeln, die mit einem
akustischen Signal ausgestattet sind, damit wir, die nichts sehen
können, auch sicher auf der anderen Straßenseite ankommen. - Dadurch,
dass meine Mom nichts sieht, habe ich schon frühzeitig gelernt, wie man
sich im Straßenverkehr verhält. Wenn die Ampel auf grün umschaltet dann
darf man die Straße überqueren, aber man muss trotzdem vorher noch mal
nach sehen, dass kein Auto fährt, auch wenn es nicht mehr fahren dürfte!
Und wenn die Ampel auf rot schaltet, muss man stehen bleiben, weil
die Autofahrer jetzt fahren dürfen. Wir können es aber einrichten,
sprach Mom weiter, dass du dich frei bewegen kannst, sobald ein Sehender
mit uns gemeinsam geht. Den Vorschlag fand ich gut und beim nächsten
Mutter- und Kindertreff wurde es so gehandhabt.
Es gab niemals etwas, was ich nicht mit meiner Mom besprechen konnte,
dachte Mina jetzt so beim schreiben. Es störte mich nicht, wenn meine
Mutter mit den Händen an mir herumtastete ob sie sich auch vernünftig
angezogen hat. Als sie klein war, verstand sie es nur nicht, wie die
Mutter trotz fehlenden Augenlichts, merkte, dass sie ihr Zimmer nicht so
richtig aufgeräumt hat. Die Mutter ging durchs Zimmer und fühlte lang an
den Regalen entlang. Sie fand immer etwas, was dort nicht hingehörte. So
durchforstete sie dass ganze Zimmer Meter für Meter und damit zeigte sie
mir, dass sie sehr wohl merkte, dass ich ihr einen Streich spielte.
Wenn ich absolut keine Lust dazu hatte mir die Hände oder Zähne zu
putzen, drehte ich einfach nur den Wasserhahn auf und tat so als würde
ich es tun. Auch dass fand meine Mom sehr bald heraus. Sie roch dann
an meinen Händen und sagte dann, komm Mina geh noch mal ins Bad und
wasch dir deine Hände mit Seife.
Wenn meine Mom und ich etwas zusammen kochen oder backen wollen holt
meine Mom eine Küchenwaage aus dem Schrank hervor, die per Sprache meiner
Mutter ansagt, wie viel Mehl sich schon in der Waagschale befindet.
Manchmal nimmt Mom auch einen Messbecher zur Hilfe, der im Inneren
tastbare Messstriche hat. So kann man fühlen, ob man genug Zucker abgewogen
hat oder eventuell noch mehr Zucker hinzu geben muss. Wenn meine Mom
sich nicht mehr allzu sicher ist, ob an den Teig nur vier oder fünf Eier
gehören, so holt Mom dass Backbuch in Brailleschrift hinzu und liest
darin. Damit sie auch die Temperatur am Herd selbstständig einstellen
kann, wurden an den Temperaturreglern dicke Klebepunkte befestigt.
Denn so kann sie feststellen, welche Temperatur es dann ist. Ein
sprechender Eierwecker sagt ihr an, wann es so weit ist, den Kuchen
wieder aus dem Ofen zu ziehen. Alles muss an Ort und Stelle zurückgelegt
werden, damit sie alles leicht finden kann. So sieht es auch mit der
Ordnung generell in unserer Wohnung aus. Einen Schulranzen nachlässig in
den Weg zu stellen, kann für meine Mom fatale Folgen haben. Da sie ihn
nicht vorher sieht, weiß sie auch nicht, dass sie ihre Schritte ein
wenig verlangsamen muss, um nicht darüber zu fallen. Als ich klein war,
dachte ich nicht immer daran und meine Mom stolperte über meine mitten
im Flur liegende Schuhe. Wie oft kam es auch vor, dass sie ein Spielzeug
mit den Füßen in zwei Teile zertrat, weil sie es dann erst mit ihren
Füßen wahrnahm.
Bei der Wäsche nach Farben zu sortieren, hilft ihr ein
Farberkennungsgerät, das die Farben akustisch ansagt. Es kommt wirklich
selten vor, dass ein Wäschestück dabei ist, was nicht farblich zur
sortierten Wäsche passt. Auch an der Waschmaschine gibt es
Markierungspunkte, woran sie genau erkennen kann, welches Programm sie
je nach Waschvorgang eingeben muss.
Meine Mom zieht sich auch gern hübsch an, um die Garderobe auch farblich
passend zusammen zu stellen nimmt sie dazu dass Farberkennungsgerät.
Manchmal tut sie dann so als könnte sie noch gucken, sie stellt sich vor
den Spiegel im Schlafzimmer und dreht sich davor hin und her und zieht
dabei lustige Grimmassen! Darüber amüsieren wir beide uns dann köstlich!
Am Wochenende spielen wir auch Karten und Brettspiele. Die sind auch mit
tastbaren Elementen ausgestattet. Die Figuren vom
Mensch-Ärgere-Dich-Nicht- Spiel wurden alle oberhalb der Figuren anders
gestaltet. Dass Spielbrett
selbst hat zur Streckenführung kleine Vertiefungen vorhanden, so kann Mom
mit den
Fingern sich gut auf dem Spielplan zurecht finden und die Figuren fallen
nicht gleich um, sobald sie diese mit den Fingerspitzen berührt. Der
Würfel hat auf den Punkten kleine Pupse, damit kann sie die Punktanzahl
schnell erfassen. Manchmal habe ich versucht zu schummeln, dass hat sie
immer gleich gemerkt. Wenn dass Wetter es erlaubt machen wir mit unserem
Tandem eine Fahrradtour in die benachbarten Wälder. Mein Vater sitzt
vorne auf dem Tandem und meine Mom hinten drauf und ich fahre mit meinem
eigenen Rad vorne weg. Auf diese Weise haben wir schon so manche Wälder
per Rad erkundet. Ich bin jedes Mal völlig verblüfft, wie meine Mom mit
ihren verbliebenen Sinnen die Umwelt vom Rad aus wahrnimmt. Viele die
vordem noch nie etwas mit einem blinden Menschen zu tun gehabt hatten,
schütteln ihre Köpfe, weil sie sich dass überhaupt nicht vorstellen
können, dass Mom dass wahrhaftig nur mit ihren Ohren, Nase, Händen und
Füßen erfahren hat. Manche kommen tatsächlich ins schleudern, wenn Mom
von "gesehen" spricht! Dann schauen sie meinen Vater und mich mit groß
aufgerissenen Augen an, wie jetzt .....?
Meine Mom hat auch einen Computer. Der liest ihr, was man auf dem
Bildschirm sieht vor. Zusätzlich hat sie eine Braillezeile, wo sie mit
den Fingern lesen kann, wenn sie nicht die Computerstimme zum vorlesen
nutzen möchte. Sie kann sehr schnell auf der Tastatur schreiben, auch weil diese durch
die Computerstimme akustisch zu hören ist.
Seitdem es vermehrt Filme mit Erläuterungen im Kino gibt, gehen wir
häufiger ins Kino. Sie bekommt dann einen Kopfhörer und einen Empfänger
ausgehändigt, mit dem sie dann die Erläuterungen erklärt bekommt, die ihr
die Momente beschreiben, wo niemand etwas spricht. Durch diese Weise kann
sie den Film genauso erleben und genießen wie unser eins.
Einmal in der Woche geht meine Mom zum Blindenfußballtraining.
Dass Fußballfeld ist um einiges kleiner, als bei den Sehenden
Fußballspielern. Um das Fußballfeld ist eine 120 cm hohe Bande
aufgestellt. damit der Fußball nicht vom Feld rollen kann und die
Spieler, die alle blind sind, nicht die Orientierung verlieren. Der Ball
hat unter dem Leder kleine Rasseln befestigt bekommen. Dadurch können
die blinden Spieler ihn gut hören. Auf jeder Spielfeldseite befinden
sich vier blinde Feldspieler. Wenn ein Mitspieler noch etwas sieht, muss
er sich eine Schlafmaske aufsetzen. Denn alle Mitspieler sollen die
gleichen Voraussetzungen haben. Die Torwarte und der Schiedsrichter und
die Betreuer hinter den Toren können sehen. Die Betreuer und die
Torwarte dirigieren die blinden Spieler im Spielfeld.
Daher ist es auch wichtig, dass die Zuschauer während des Spiels sich
ruhig verhalten, damit die Spieler sich gut hören können, da sie keinen
Blindenstock sowie Blindenführhunde zur Orientierung mit sich führen.
Denn so liefen sie häufig in einander hinein und würden so sich
verletzen. Darum müssen die Spieler, wenn sie auf einen anderen Spieler
zu laufen "Voy" rufen, (Dass Wort kommt aus Spanien) und dass heißt so
viel, wie ich komme. Dass wird International so gehandhabt.
Die Spieldauer beträgt jeweils 25 Min. Danach werden die Seiten gewechselt.
Diese Sportart für Blinde gibt es erst seit zwei Jahren in Deutschland.
Meine Mom geht so richtig in diesr sportlichen Aktivität auf. Sie sagt, nun
fühle sie sich wieder freier.
Viele fragen sich jetzt bestimmt an dieser Stelle, ob ich mein Leben mit
einem anderen Kind tauschen möchte? Nein, kann ich da nur aus tiefsten
Herzen sagen, denn mir fehlt nichts, was andere jedoch denken. Denn dass
was ich durch meine blinde Mom erfahren habe, hat mir gezeigt, dass man
egal, welche Behinderung man letztendlich hat, ein trotzdem glücklicher und
zufriedener Mensch werden kann. Dass was sie geschafft hat, sollen mir
erst andere vormachen.